Kursmanipulationen via Internet

von Thomas Schuster

Monatelang war der Aktienkurs von Microsoft kaum vom Fleck gekommen. Doch in der vergangenen Woche legte der Wert einen formidablen Sprint aufs Parkett. Der Hauptgrund für die Kursrally war die Ankündigung des weltgrößten Software-Herstellers, das Betriebssystem Windows 2000 werde im Februar in den Handel kommen. Doch schon am Dienstag, war die Notierung in Fahrt geraten. Und das hatte nichts mit der Pressemitteilung zu tun, die erst am Tag später herausgegeben wurde, sondern mit – falschen – Gerüchten, die möglicherweise aus dem Internet stammten.

Der US-Fernsehsender CNBC hatte berichtet, es sei angeblich im Kartellstreit zwischen Microsoft und den US-Justizbehörden zu einer außergerichtlichen Einigung gekommen. Und die Nachrichtenagentur Reuters gab diese Meldung in alle Welt weiter. CNBC mag die Frage nicht konkret beantworten, woher er seine Informationen bezogen hatte. Doch liegt es angesichts ähnlicher Vorgänge nahe, dass sich die TV-Station aus einer der vielen Plauderecken und Nachrichtenseiten im weltweiten Datennetz bedient hatte. Schon einige Male ist es Falschspielern gelungen, unkorrekte Angaben via Internet zu lancieren, um damit Börsenkurse zu beeinflussen. Diesmal sind sie womöglich bis in die etablierten Medien vorgedrungen.

Ungeahnte Möglichkeiten

Die Online-Welt bietet Betrügern ungeahnte Möglichkeiten, denn Manipulation ist dort billig und effizient. Die Technik gestattet den Zugriff auf viele Beteiligte bei gleichzeitigem Zuschnitt auf individuelle Nutzerprofile. Sauber nach Sachgruppen getrennt sammeln sich die potentiellen Opfer in den Parzellen des elektronischen Marktplatzes. Gleichzeitig bergen Online-Vergehen für den Täter ein geringes Risiko. Einen Zugriffspunkt bietet prinzipiell jeder Netzanschluss, in der anonymen Masse der Internet-Surfer lässt es sich leicht untertauchen. Kein Wunder also, dass sich die Experten in der Manipulation ihrer Mitmenschen von den neuen Möglichkeiten magisch angezogen fühlen.

Mit welcher Frechheit die Nepper in den Netzen vorgehen, demonstriert folgender Fall: Im Juli wurde auf einem Gesprächsforum für Anleger behauptet, der deutsche Internet-Dienstleister Endemann müsse seine Gewinnprognose revidieren – angeblich sei der Kooperationsvertrag des Neuen-Markt-Unternehmens mit einem wichtigen Werbekunden gekündigt worden. Die Nachricht entbehrte jeder Grundlage, am Aktienkurs des Suchmaschinen-Betreibers freilich ging sie nicht spurlos vorbei. Zwischen 8 Uhr, dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Falschmeldung, und 11.58 Uhr, dem Dementi durch den Großverlag Gruner + Jahr, dem Betreiber des Forums, verlor die Aktie vorübergehend acht Prozent, nachdem geschockte Anleger ihre Papiere unlimitiert auf den Markt geworfen hatten. Weiteres Beispiel: Im Spätsommer kursierte die Falschmeldung, Gabor Bojar, der Vorstandsvorsitzende des ebenfalls am Neuen Markt notierten Software-Anbieters Graphisoft, sei bei einem Unfall ums Leben gekommen. Der ohnehin schon angeschlagene Kurs der Firma knickte weiter ein. Bojar erfreut sich allerdings nach wie vor bester Gesundheit.

Die wachsende Zahl der Vergehen hat in den Vereinigten Staaten bereits zu einer Verschärfung der Internet-Überwachung geführt. Die Cyberforce, eine Abteilung zur Bekämpfung von Online-Betrug bei der Börsenaufsicht SEC, besteht mittlerweile aus über 200 Fahndern, die Verstößen gegen das Aktienrecht nachgehen. In Deutschland ist die Gefahr hingegen noch nicht einmal in Ansätzen erkannt: Die für Internet-Kriminalität zuständige Einheit des Bundeskriminalamts (BKA) ist bislang noch fast ausschließlich mit der Verfolgung von Kinderpornographie beschäftigt. 90 Prozent aller Fälle der so genannten anlassunabhängigen Recherche stehen in diesem Zusammenhang. Sonst findet sich kaum etwas, erklärt das BKA, das “lagefähig darzustellen wäre” – sprich: schon im Vorfeld verfolgt würde. Auch jene Behörde, in deren Aufgabenbereich der digitale Schwindel noch am ehesten fallen würde – das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel in Frankfurt – unternimmt nur wenig. Das Amt begründet dies unter anderem mit Problemen bei der Kompetenzzuordnung zwischen Bund und Ländern. Hintergrund: Betrug ist grundsätzlich eine Sache der Länderbehörden und wird zumeist am Ort des Vergehens verfolgt. Somit ist unklar, was geschehen soll, wenn der Tatort das World Wide Web ist.

Dazu kommt ein weiteres deutsches Dilemma: Es mangelt an einer Rechtsgrundlage für strafrechtliche Verfolgung. Die Verbreitung einer Lüge im Internet ist nicht strafbar; erst die Absicht, damit eine gezielte Manipulation vorzunehmen, kann einen Straftatbestand ergeben. Solange nicht bewiesen ist, dass eine Täuschung ursächlich war für einen Vermögensschaden, liegt nach juristischem Verständnis ohnehin kein Betrug vor – rosige Zeiten für zwielichtige Zocker und dubiose Daten-Designer.

Zur Manipulation steht im Internet eine ganze Palette geeigneter Plattformen bereit – von Nachrichtenseiten über Plauderecken bis hin zu E-Mails. Aktenkundig ist bislang unter anderem das so genannte Pump and Dump Scam. Dabei pumpen Aktienbesitzer den Kurs durch Gerüchte künstlich auf. Anschließend wird aus den Notierungen die Luft herausgelassen, indem man die Papiere verkauft, just nachdem gutgläubige Anleger zugegriffen haben. Diese Methode wird gerne bei marktengen Werten angewendet, die auf Grund einer geringen Zahl umlaufender Papiere besonders anfällig für Kursmanipulationen sind.

Besser zwei Mal nachdenken

Gefahrlose Investments mit hohen Gewinnaussichten, am besten noch garantiert – davon träumt wohl jeder Anleger. Doch bekanntlich korrelieren die Gewinnchancen an den Finanzmärkten zumeist mit dem Risiko, das man einzugehen bereit ist. Nicht so in Offerten, in denen von ungefährlichen Anlagen die Rede ist und die oft noch mit wundersam hohen Renditen winken. Dies alles mag nach leicht durchschaubaren Tricks klingen, auf die wirklich nur die Allerdümmsten hereinfallen. Übervorteilt werden kann jedoch prinzipiell jeder; der größte Fehler wäre es, die Cleverness der Täter zu unterschätzen. Man sollte also besser zwei Mal nachdenken, bevor man sein Geld in eine Investmentgelegenheit steckt, von der man durch das Internet erfahren hat. Die Sache hat nur einen Haken: Möglicherweise wird immer weniger festzustellen sein, ob Nachrichten in etablierten Medien aus eventuell betrügerischen Quellen im Datennetz stammen oder nicht.

Thomas Schuster, Kursmanipulationen via Internet. Mit dem Datennetz auf Fischzug. Süddeutsche Zeitung, 20.12.1999.

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