Aus der Einleitung zu “Staat und Medien”
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, so heißt es. Was wäre die Olympiade ohne monatelange Vorberichterstattung, das elektronische Vorspiel zur Erregungssteigerung vor dem eigentlichen Vollzug? Oder Wahlen? Oder Krieg? Das eigentliche Ereignis bleibt ja, wie uns die Erfahrung lehrt, oft erheblich hinter den Erwartungen zurück und verschwindet meist sehr schnell im Zwielicht des verklärenden Vergessens, der Antizipation des nächsten Aktes. Wer erinnert sich schon groß an die letzte Olympiade? Die letzten Wahlen? Den letzten Krieg? So ist es nützlich, im Vorspiel die Schwere des Ereignisses zu erhöhen, dieses durch Vorwegnahme einer noch reinen Zukunft nach vorne zu verlängern. Die Strategie funktioniert, oft allerdings zu gut!
Monatelang hatten uns die Medien auf das internationale Großereignis der neunziger Jahre vorbereitet, die Schlacht der Schlachten zwischen den dunklen Mächten des Mittleren Ostens und den Befreiern des aufgeklärten Westens. Bis an die Zähne bewaffnet, mit Giftgas und modernstem Kriegsgerät, so hieß es, waren die Reiter des Saddam Hussein ins Nachbarland Kuwait eingefallen, hatten sie am 2. August 1990 das Land der friedliebenden Ölmillionäre annektiert. Dort im fremden Wüstensand sitzend (so beschrieben es die Medien), bedrohten sie nun die ganze freie Welt. Vor kurzem noch kein Problem, “das irgend jemandem den Schlaf geraubt hätte”, wurde der irakische Diktator urplötzlich als Feind des gesamten Menschengeschlechts identifiziert, hatte man ihn praktisch über Nacht als Verkörperung des Bösen ausgemacht. Nichts weniger als die Reinkarnation Adolf Hitlers galt es somit zu vernichten, darin waren sich verdächtig viele Beobachter einig, einen Hitler freilich, den man selbst aus der Flasche gelassen hatte und den es samt seines faschistischen Regimes aus dem Kreis der gesitteten Nationen zu verjagen galt.
Hunderte, ja sogar über tausend standrechtliche Hinrichtungen in den Monaten nach dem August 1990 wurden den Irakern zur Last gelegt; Zigtausende von Kuwaitern seien aus ihrer Heimat in Feindesland verschleppt worden; und nicht zuletzt die infamste Greueltat, welche man den Irakern nachsagte: dreihundertzwölf kuwaitische Babys seien von irakischen Junkern aus ihren Inkubatoren gerissen und, “wie Brennholz auf dem Boden verstreut”, so George Bush, dem Tod preisgegeben worden – alles Behauptungen, die sich im Nachhinein als maßlose Übertreibungen oder sogar als ausgemachte Lügen entpuppten. Das Gespinst von den ermordeten Babys, welches durch die gesamte internationale Presse lief und sogar noch die Berichte von Amnesty International infizierte, hat vielleicht sogar einen Ausschlag in der Zustimmung des U.S. Kongresses für den Krieg geliefert. Die PR-Maschinen der amerikanischen und der kuwaitischen Regierung, unterstützt durch eine devote Presse, hatten wirklich ganze Arbeit geleistet.
Angesichts solcher Übertreibungen war es eigentlich kein Wunder, dass das tatsächliche Ereignis hinter den im Vorspiel geweckten Erwartungen weit zurückbleiben musste. Wohlgemerkt: Das Fernsehspektakel, das uns die Medien weltweit boten, hatte seine spannenden Seiten: Würde die demokratische Friedenstechnologie ihren Praxistest gegen die Vernichtungsmaschine des Totalitarismus bestehen? Und: Wie gemein waren die moslemischen Todesschwadrone wirklich? Wie die Hamsterkäufe in deutschen Geschäften zeigten, fühlten sich die Menschen unmittelbar betroffen. Denn selbst zur Zeit des “Wüstensturms” war noch nicht publik, was die New York Times erst viel zu spät vermeldete: “Das Bild des Irak als eines schlachtgestählten Kriegerstaates ist größtenteils ein Mythos.” Glaubte man den Verlautbarungen der Offiziellen, so durfte man sich auf ein Breitwandspektakel von cinemascopischen Ausmaßen gefasst machen. Doch statt des Endkampfes zwischen Gut und Böse im klassischen Breitwandformat lieferte das Fernsehen ein desinfiziertes Videospiel, das eher an ein Produkt der Firma Nintendo denn einen Endkampf von Shakespearescher Dramatik erinnerte. Ließ doch das Drehbuch nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen, welche Seite gewinnen würde.
Gewonnen hat diesen Krieg neben der Rüstungsindustrie nicht zuletzt die Profession der Fernsehgrafiker: Wohl nie zuvor gab es mehr Sendezeit mit weniger handfester Information und nichtssagenderen Bildern zu füllen. An der Paintbox, dem Arbeitsinstrument der Videodesigner, musste der Golfkrieg darum animiert werden, um zu verhindern, dass der Bildschirm schwarz blieb. Realitätsnähe war damit freilich nicht geschaffen – doch die war auch nicht beabsichtigt. “Was erwarteten die Leute denn zu sehen, etwa blutige Gliedmaßen?”, so der Art-Direktor eines der amerikanischen Fernseh-Networks. “Wir sind verpflichtet, die aktuellen Ereignisse darzustellen, aber das muss nicht auf grässliche Weise geschehen.”
Natürlich bemühten sich die Medien, die nötige Spannung aufrechtzuerhalten, um das Publikum zu fesseln und den Eindruck zu vermeiden, dass die Karten gezinkt waren. Immerhin konnte man ja versuchen, mit einem entsprechenden Aufwand an production assets, an Knallkörpern und Techno-Effekten, die mangelnde Komplexität des Skripts zu übertünchen und für den nötigen Spaß zu sorgen: Dreißig bis vierzig Millionen Dollar ließ sich jedes der drei großen amerikanischen Fernseh-Networks das Wüstenspektakel kosten – eine Investition, die sich, wie man hört, für sie finanziell nicht rechnete. Doch wenn schon nicht unbedingt dem Publikum, zumindest den amerikanischen Vernichtungsteams scheint die Sache Spaß gemacht zu haben, wenn man den Worten eines Kampfpiloten glauben darf, der meinte: “There’s a funness about it.” An den Bildschirmen jedoch entpuppte sich das Ganze bald – klassisch, wie in Hollywood – als abgekartetes Spiel zugunsten des Mannes mit dem weißen Hut. Der Bösewicht hatte niemals eine Chance.
Bilanz des Krieges ohne Leichen: Knapp 300 Helden verblichen (viele unter den smarten Präzisionswaffen ihrer Kameraden) und weit über 100 000 Feinde dahingestreckt – die kill ratio eines typischen Films von Arnold Schwarzenegger; zeitweilige politisch-militärische Hegemonie der USA in einem re-westfalisierten Staatensystem; und, man glaubt es kaum, Hitlers Nachfahre, das “Biest von Bagdad”, auch weiter an der Macht – damit war reichlich Stoff für endlose Fortsetzungen gesichert. General Norman Schwarzkopf, der Chef der internationalen Besetzung, gab nach Einstellung der Destruktionsarbeiten zu: Achtzehn Monate lang, das heißt seit 1989, hatte man an dem Skript gearbeitet, um den Handlungsverlauf für den Golfkrieg festzulegen. Deshalb also war ein Nachspiel angebracht – um von der tatsächlichen Schematik des Aktes abzulenken und die historische Amnesie des Publikums zu vertiefen. Was bot sich besser an, als dem grandiosen Sieg eine medienwirksame Feier folgen zu lassen? Und so kam nach dem teuer produzierten Kriegsspektakel die nicht weniger spektakuläre Kriegsparade.
Auch ich befand mich im Pulk der Schaulustigen, als die siegreichen U.S.-amerikanischen Truppen im Juni 1991 am New Yorker Broadway, in der Gegend der Wall Street, an Hunderttausenden von Zivilisten vorbeimarschierten. Vorneweg die Spitzen von Staat und Militär in offenen Karossen, in Reih und Glied die siegreichen Legionen in Paradeuniform hinterher. Solche Massenrituale zur Selbstbestätigung imperialer Macht haben eine lange Tradition. Anders jedoch als im Römischen Reich, standen die Feldherren nicht mehr an der Spitze des Trosses. Denn an vorderster Front, noch vor den Staatskarossen und Truppenkontingenten, fuhren an jenem Junitag in New York die Kameraleute des Fernsehens an uns vorbei. Ihrer Pflicht als Dokumentaristen des modernen Weltgeschehens folgend, filmten sie von einer fahrenden Plattform herab die Reaktionen des Volkes auf dieses historische Ereignis.
Wie vieles an diesem vom Staat inszenierten Publicity-Akt, hatte auch das Verhalten der Medienleute seine symbolhaften Seiten: Während ich mich noch durch die Massen von Zuschauern kämpfte, die vom langen Warten bereits entnervt schienen, brach plötzlich lauter Beifall um mich herum aus. Einer der Kameraleute, die gerade an uns vorbeifuhren, war offensichtlich unzufrieden mit dem Bild ungeduldig Wartender, das sich ihm darbot. Und so feuerte er, die Kamera in einer Hand, mit der anderen Hand wild gestikulierend, das Publikum zum Jubeln an. Daraufhin schwenkten nicht wenige der um mich herum Stehenden ihre Fähnchen, applaudierten in die Kamera und winkten dem eifrigen Mann vom Fernsehen munter zu.
Die Berichterstattung der New York Times anderntags war zum Verständnis des Ereignisses nicht sehr hilfreich. Wie nicht anders zu erwarten, beschränkte sich diese Zeitung (die von vielen als die seriöseste journalistische Publikation der USA bezeichnet wird) in ihrer Berichterstattung hauptsächlich auf das, was landläufig bei solchen Anlässen als berichtenswert betrachtet wird: die Länge der Parade, die “Euphorie” der Zuschauer, die Menge des verbrauchten Konfetti. Dennoch hatte sie auch einige Worte für das auffällige Verhalten der Presseleute übrig. Zwar entging auch dem Times-Kommentator nicht das eigenartige Geplänkel zwischen den Fernsehreportern und den Schaulustigen am Straßenrand. Doch er meinte, “es bräuchte einen mächtig verdrießlichen Fernsehkritiker, der nicht vom Schein solcher Freundlichkeit berührt wäre”. In dem Umstand, dass die Polizei stets zur Stelle war, um Fernsehreporter von protestierenden Kriegsgegnern fernzuhalten (einen Schönheitsfehler am offiziellen Jubelfest, den er nur am Rande erwähnte), sah er keinen Widerspruch. Bloßer Schein also in der Tat.
Selbstreflexion ist keine Stärke der Medien. Über sich selbst zu berichten und die eigene gesellschaftliche Rolle öffentlich zu bedenken, würde den Schein von den Medien als über den Tatsachen stehenden “objektiven” und “unparteilichen” Berichterstattern stören, welche historische Ereignisse angeblich nur dokumentieren, ohne in diese einzugreifen. Da dieser (falsche) Schein dem Geschäft hilft, ist Selbstkritik, auch Kritik verschiedener Medien untereinander, wie zum Beispiel von Zeitungen am Fernsehen, höchst unbeliebt. Die laxe Berichterstattung der Times, welche die Manipulationen des Fernsehens als “Journalismus mit menschlichem Gesicht” entschuldigte, sollte deswegen kaum verwundern. Auch bin ich mir ziemlich sicher (wenngleich ich hier nur spekuliere), dass es die Kommentatoren des Fernsehens tunlichst unerwähnt ließen, dass die eigenen Reporter bei der Produktion der Bilder von jubelnden Menschenmassen fleißig mithalfen (diese also nicht einfach “vorgefunden” wurden). Öffentliche Reflexion und Bewusstmachung der eigenen Rolle ist auch und gerade für das elektronische Medium tabu. Man präsentiert die Wirklichkeit “so wie sie ist”.
Da sich meine Beobachtungen nicht durch Medienberichte bestätigen lassen, möchte ich zur Glaubhaftmachung meiner Schilderung auf eine Untersuchung zweier U.S.-amerikanischer Soziologen aus den fünfziger Jahren zu verweisen. Sie hatten über einen ähnlichen Anlass, die Chicagoer Parade zur Feier der Rückkehr General MacArthurs vom Krieg in Korea im April 1951, folgendes zu berichten: “Unser erstes und vielleicht dramatischstes Ergebnis war, dass der MacArthur-Tag, wie er von den Teilnehmern erfahren wurde, sich von dem MacArthur-Tag unterschied, wie er denen erschien, welche die Live-Berichterstattung im Fernsehen verfolgten.” Dies ist nicht besonders überraschend. Denn, so bemerkten die Soziologen weiter, die Fernsehkameras suchten ständig nach den spektakulärsten Momenten des Umzuges, während der Kommentar der Fernsehsprecher die “Dramatik” des Ereignisses zu unterstreichen versuchte (selbst wenn nichts passierte). Auch beobachteten die Soziologen einen Vorgang, den sie als “reziproke Effekte” bezeichneten. Sie meinten damit die Reaktionen des Publikums auf die Fernsehkameras, unabhängig vom “eigentlichen” Ereignis (das nicht zuletzt aus Platzangst und langem Warten bestand). “Die Kamera wählte Einstellungen des lärmenden und winkenden Publikums”, so die Soziologen weiter, “doch in diesem Fall schuf die Fernsehkamera selbst das Geschehnis. Das Jubeln, Winken und Rufen war oft hauptsächlich eine Reaktion auf die Ausrichtung der Kamera.” Dies bestätigt mir, dass meine Beobachtung des eifrigen Kameramannes während der Golfkriegsparade vierzig Jahre später alles andere als einen Zufall darstellt. Tatsächlich werden die pragmatischen Medienprofis die ersten sein, die zugeben, dass es sich bei solchen Praktiken um nichts Besonderes handelt, reine journalistische Routinearbeit. Warum also viel Aufhebens machen um etwas, das jeder weiß?
Die Medien können nur eine bestimmte Ansicht, niemals ein umfassendes Bild von der Wirklichkeit produzieren. Die Medien sind, so betrachtet, niemals “objektiv”. Wie wir die Welt verstehen, hängt nicht zuletzt von unserem sozialen Standpunkt ab und auch der Weise, wie wir auf die Wirklichkeit blicken. Dies gilt auch für die “Fakten”, die wir zur Beschreibung der Welt auswählen. Menschliche Wahrnehmungen, auch die institutionalisierten Wahrnehmungen bestimmter gesellschaftlicher Organisationen, sind unvermeidbar selektiv. Eine unvollständige Wahrnehmung als solche, auch die selektive Wahrnehmung der Medienberichterstattung, bietet also noch keinen ausreichenden Grund für Kritik. Sie ist natürlich und von vornherein in sozialen Diskurs eingebaut. Selektive Wahrnehmung wird jedoch zum Problem, wenn sie ständig in Abrede gestellt wird (zum Beispiel durch Beteuerungen journalistischer “Objektivität” zur Abwehr von Kritik), wenn sie systematisch auftritt oder das Resultat einer bewussten und versteckten Manipulation ist. Medien strukturieren Wirklichkeit durch aktive Intervention. Insoweit solche Interventionen der Medien in die Realität nicht offen zugegeben, sondern ständig verleugnet oder sogar bewusst verschleiert werden und damit eine notwendig begrenzte Perspektive zur scheinbaren Totalen aufgeblasen wird, ist ihre Funktion eindeutig ideologisch.
Die Golfkriegsparade schien deswegen noch in einem weitläufigeren Sinne symbolhaft: Der Eindruck der Euphorie der Bevölkerung über dieses Spektakel, welches die Vertreter der Medien kreieren halfen, musste den Organisatoren dieses Nachspiels zum Kriegsakt, den Vereinigten Staaten von Amerika, höchst willkommen sein. Denn die Parade, in ihrer Wirkung durch die Medienberichterstattung vielfach verstärkt, lieferte eine nationale Selbstversicherung der Legitimität der U.S.-amerikanischen Intervention im Mittleren Osten, der dort angewendeten militärischen Gewalt und der populären Unterstützung dieser Politik. Ob gewollt oder ungewollt (das bleibt der Wirkung nach gleich), handelten die Medien somit als Publicity-Arm des Staates. Indem sie ein Bild einhelliger Euphorie schaffen halfen, lieferten sie den Amerikanern eine ritualistische Wiederbestätigung nationaler Werte, während sie der Welt das Bild eines innenpolitischen Konsenses hinter der Militärpolitik des Staates signalisierten. Auch dies, so scheint mir, war kein Zufall, genauso wenig wie das Auftreten eifriger Kameramänner während zweier vier Jahrzehnte auseinanderliegender Ereignisse. Vielmehr handelte es sich bei der Golfkriegsparade um nur ein Beispiel eines permanenten Prozesses. Denn solange die Medien ein künstliches Bild populären Konsenses hinter einer nationalistischen und militaristischen Politik schaffen, eine solche nationalistische und militaristische Politik unkritisch verdoppeln, und damit einen unbefriedigenden Gesellschaftszustand als natürlich ratifizieren, erfüllen sie eindeutig eine Propagandafunktion. Dies gilt für die USA (die uns hier nur als Beispiel dienen), wie für alle übrigen Staaten.
Es ist keineswegs sicher, dass Massenmedien und Propaganda zwingend zusammenfallen. Eine propagandistische Rolle der modernen Massenmedien als Agentur des Staates muss man deswegen nicht als unbedingte Notwendigkeit betrachten. Der Eindruck einer besonderen Affinität in der Beziehung von Staat und Massenmedien drängt sich jedoch auf, einer Beziehung, die schon in der Vergangenheit oft als besonders natürlich, um nicht zu sagen glücklich dargestellt worden ist. Schon Weltkriegsveteran Ernst Jünger wusste, wovon er sprach, als er sich nach dem ersten Großen Krieg über die Beziehung von Staat und Medien äußerte. Zum Medium Film hatte er folgendes zu sagen: “Der Film ist eine Machtfrage und als solche zu bewerten. Daher liegt auch ein unmittelbares Interesse des Staates vor, das weit über die negative Betätigung der Zensur hinausgreifen muss.” Betrachtet Jünger anscheinend eine Staatsperspektive für das Medium Film als unvermeidlich und notwendig, so vertritt Medientheoretiker Gerd Eckert in seinem Buch Der Rundfunk als Führungsmittel die gleiche Ansicht für die Zeitung und das Radio. Im Kriegsjahr 1941 schreibt er: “Keine Führung kann heute auf eines der beiden Mittel verzichten. Ihr gemeinsamer Einsatz, der in gleicher Richtung noch von anderen Propagandamitteln unterstützt wird, schafft erst die Einheit der Nation nach innen und außen und vertritt die Rechte des Volkes im Kampf gegen eine feindliche oder wenigstens gleichgültige Außenwelt.” Und: “Der Rundfunk ist eine einzigartige propagandistische Waffe und wirkt daher notwendigerweise politisch.” Was hätten Jünger und Eckert erst über die audio-visuellen elektronischen Medien gesagt, jene vertikalen Verlautbarungsleitungen, welche die Zentren der Macht in direkte Verbindung mit der gesamten Gesellschaft setzen?
Auch Walter Benjamin, der kritische Beobachter einer früheren Periode der Politik unseres Jahrhunderts, hat über diese Frage der Dialektik von Massenmedien und Politik nachgedacht. Nicht präskriptiv-bejahend wie Jünger und Eckert, sondern kritisch-distanzierend führt er die Affinität von Staat und Medien auf den Stand der modernen Reproduktionsmethoden zurück. Zum Fall der propagandistischen Wochenschauen des Faschismus teilt er folgendes mit: “Der massenweisen Reproduktion kommt die Reproduktion von Massen besonders entgegen. In den großen Festaufzügen, den Monstreversammlungen, in den Massenveranstaltungen sportlicher Art und im Krieg, die heute sämtlich der Aufnahmeapparatur zugeführt werden, sieht die Masse sich selbst ins Gesicht. Dieser Vorgang, dessen Tragweite keiner Betonung bedarf, hängt aufs engste mit der Entwicklung der Reproduktions- bzw. Aufnahmetechnik zusammen. Massenbewegungen stellen sich im allgemeinen der Apparatur deutlicher dar als dem Blick. Kaders von Hunderttausenden lassen sich von der Vogelperspektive aus am besten erfassen. […] Das heißt, dass Massenbewegungen, und so auch der Krieg, eine der Apparatur besonders entgegenkommende Form des menschlichen Verhaltens darstellen.”
Ohne Qualifikation ist Benjamins Betrachtungsweise heute nicht mehr zeitgemäß. Zu Zeiten des “Großdeutschen Rundfunks” und des staatsunmittelbaren Films musste ihm noch die propagandistische Mobilisierung des Bewusstseins der Massen durch staatliche Medien, um der Verwirklichung der “höheren Interessen” des Staates willen, besonders ins Auge stechen. Aus der heutigen Sicht eines modifizierten staatlichen Phänotyps und einer veränderten politisch-ökonomischen Situation muss dagegen die Frage nach einer den Zwecken der Großen Politik dienlichen Pazifizierung von Bewusstsein durch die Medien im Vordergrund stehen, die nur noch gelegentlich in Phasen der Massenmobilisierung umschlägt. Gleichwohl drängt sich der Gedanke auf, dass es sich bei der Mobilisierung von Massen durch die Medien, wie sie zu Benjamins Zeiten vorherrschte, wie auch bei der massenmedialen Chloroformierung der Menschen, wie sie heute stattfindet, nur um verschiedene und artverwandte Ausdrucksformen desselben Syndroms handelt – der Induktion staatsdienlichen Bewusstseins, kurzum: Propaganda.
Wie wirksam solche Propaganda in der Gegenwart ist, stellt natürlich eine ganz andere Frage dar und hängt letztendlich vom Volumen der Überredungsbemühungen ab, deren Suggestivkraft und massenpsychologischer Wirksamkeit sowie der Leichtgläubigkeit der Menschen. Dieser Prozess der medialen Bewusstseinsformierung schließt sich dann zum Zirkel, wenn die Menschen beginnen, süchtig nach Betäubung zu werden. Der Medienkonsument will nicht mehr nur angesprochen werden, wenn er sich in den Apparat einschaltet, er will betäubt werden. Ob das Nachspiel also seinen Zweck der befriedigenden Verlängerung des eigentlichen Kriegsaktes erfüllte, kann hier nicht beurteilt werden. Es lassen sich jedoch noch immer klare Spannungen zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen der orchestrierten Freude auf den Bildschirmen und den steifen Beinen am Rande des Siegeszuges erkennen. Aber vielleicht spielt dies schon eine geringere Rolle, als zu hoffen wäre, da die Diskrepanz zwischen der Rhetorik der Propagandisten und der politischen Wirklichkeit überbrückt zu werden droht: durch konditionierte Wunschbilder in den Köpfen der Menschen.
Aus der Einleitung zu Thomas Schuster, Staat und Medien. Über die elektronische Konditionierung der Wirklichkeit. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch, pp. 11-20.